Karen Koltermann, Berlin (Video)
Website Karen Koltermann
Vernissage am Freitag, 29. Januar 2016 um 19 Uhr / Opening on the 29th of January at 7 pm.
Herzlich Willkommen / Warmly Welcome
TOOLBOX – Finnish Art Space
Koloniestraße 120 | 13359 Berlin Wedding | U-Bahn Osloer Straße
Öffnungszeiten | Opening-times:
- Di–Sa/ Tue–Sa: 14–18 Uhr
Karen Koltermann
Video: Al Sahra, home, ca. 3 min. Loop, 2011
Koltermanns Video ist eine Komposition filmischer Eindrücke von einem halbabgewrackten Schiff. Es ist noch als Schiff zu erkennen, Teile liegen aber schon als Schrott an Land.
Am 14. Juli 1990 legte der irakische Schwerguttransporter Al-Zahraa in Bremerhaven an, weil dort die Maschine repariert werden sollte. Am 2. August griff der Irak Kuwait an, die UN verhängten ein Embargo gegen ihn und das Schiff wurde arretiert. Bis zu seiner Verschrottung 2011 lag es dann in Bremerhaven fest, bis zum Jahr 2003 von einer rudimentären Besatzung aus jeweils zwei irakischen Männern bewacht, die einige Monate blieben und dann abgelöst wurden. Die letzten zwei mussten über zwei Jahre lang auf dem Schiff in Bremerhaven bleiben, weil im Jahr 2003 während ihrer Dienstzeit der Irakkrieg ausbrach. Karen Koltermann hat mit diesen beiden Männern gesprochen und damals schon Aufnahmen von der Al-Zahraa gemacht.
Im Juli 2011 ist sie dann zur letzten Station der Al-Zahraa gefahren, einer Abwrackwerft im litauischen Klaipeda. Die Abwrackwerft hat ihr erlaubt, die halbzerlegte Schiffsruine zu betreten, die Künstlerin hat dort gefilmt und fotografiert. Das hier gezeigte Video ist ein Zusammenschnitt aus diesen Aufnahmen.
Ein Schiff, das 21 Jahre lang im Hafen liegt ist eine Absurdität, und die Verheißung der Reise, des Aufbruchs, der Weite und (imaginierten) Freiheit des offenen Meeres, die vielleicht jedes Schiff, mindestens die hochseetauglichen, umweht, ist hier stillgestellt. Beim Abwracken findet endgültig ein Übergang vom Wasser aufs Land statt, das Schiff endet in Schrotthaufen und wird im Glücksfall recycelt und den Materialkreisläufen an Land wieder zugeführt.
Der Titel, Al Sahra, home, ist einerseits eine Verfremdung des Namens des Schiffes – „aṣ-Ṣaḥrā“ heißt im Arabischen „die Wüste“ – , „home“ verweist auf die Zugehörigkeit des Films zu dem größeren Werkkomplex home, der zuerst 2011–12 in der Kunsthalle Bremerhaven gezeigt wurde; das Werk besteht aus Videos, Fotos, Klangcollagen und Malerei, auch in Kombinationen, über die Al-Zahraa und andere Schiffe, die abgewrackt wurden, also nicht mehr sind, die – in der altertümlichen Redewendung ausgedrückt – „heimgekehrt“ sind.
„home“ heißt aber auch, dass diese Schiffe Menschen ein Zuhause gewesen sind – oder im Fall der irakischen Wachmänner eine armselige Bleibe, fern des Zuhauses, das gleichzeitig auch noch in Schutt und Asche gelegt wurde.
Und es hängt dem Wort „home“ an, dass die See die Verheißung des anderen, in der Vorstellung besseren Ortes in sich trägt, weshalb Menschen sich seit Jahrtausenden auf Seereisen machen in die unbekannte Ferne. Und ihr Heim verlassen.
Text: Dr. Anna E. Wilkens
Links:
shipbreaking Al-Zahraa (PDF)
In der Presse über die Ausstellung home und die Al-Zahraa:
Günter Beyer: „Suche nach einem besseren Ort. Die Ausstellung home in der Kunsthalle Bremerhaven“, in: Deutschlandradio Kultur, 18.12.2011, http://www.deutschlandradiokultur.de/suche-nach-einem-besseren-ort.1013.de.html?dram:article_id=172644
Frank Keil: „Ein Kahn kehrt heim. Ausstellung in Kunsthalle“, taz Nord, 22.12.2011, http://www.taz.de/!5104705/
Seite des Dokumentarfilms über die beiden irakischen Wachleute, Die Vergessenen der Al-Zahraa, von Knud Vetten und Andreas Wenderoth, 2006
http://www.al-zahraa.de/HTML/geschichte2.html
Karen Koltermann
Video: Al Sahra, home, ca. 3 min Loop, 2011
Koltermann’s Video shows impressions of a partially broken up ship. It is still recognizable as a ship, but in its partially demolished state, fragments are already lying ashore.
In 1990, the Iraqi cargo ship Al-Zahraa docked at the port of Bremerhaven for refit of machines. Before the repairs were finished, Iraq attacked Kuwait and the Al-Zahraa was locked at the Port due to the UN embargo on Iraq. Until its final demolition in 2011, the ship was laid up at Bremerhaven port, guarded by a crew of two Iraqi watchmen, who stayed for several months to be then replaced by others. With the beginning of the Iraq war in 2003, there was no further replacement, so the last two guards were forced to stay on the ship for more than two years in miserable living conditions. Karen Koltermann visited them in 2003 and took pictures of the Al-Zahraa and filmed with a video camera.
In July of 2001 she followed the ship to its final destination, its demolition in the port of Klaipeda, Lithuania. She gained permission to film on the partially disassembled vessel; the video shown here is a composition of said footage.
A ship docked at a port for 21 years is an absurdity, and the promise of departure to distant shores, of the vastness and (presumed) freedom of the wide open sea that a (seagoing) vessel usually seems to hold must forever remain unfulfilled. In demolition the transition from sea to land becomes final, the ship ends up as and in scrapheaps, and in fortunate cases enters cycles of renovation through recycling.
The work’s title, Al Sahra, home, on the one hand is an amalgamation of the ship’s name with the Arabian expression “aṣ-Ṣaḥrā” – the desert; “home” signifies that the video belongs to a series of works called home, which was first exhibited in Bremerhaven Kunsthalle (taidehalli) in 2011–12. home consists of videos, photos, sound collages and painting, and different combinations of these. The series focusses on the Al-Zahraa and other ships that have been wrecked and are no more.
“Home” tells us that these vessels have been a home to people – or in the case of the Iraqi watchmen: a miserable accomodation, far away from their home that was bombed and layed waste to at that time.
And “home” also means that the sea holds the promise of the Other, the notion of a different place, a better home, in search of which humans for millenia have set out to cross oceans and reach the far-away unknown.
Text: Dr. Anna E. Wilkens